Konzept

Randkulturen.
Lese- und Gebrauchsspuren in Autorenbibliotheken des 19. und 20. Jahrhunderts


Die Erschliessung und Erforschung von Lesespuren ist ein aufblühendes Feld der wissenschaftlichen und archivarisch-bibliothekarischen Beschäftigung mit nachgelassenen Autorenbibliotheken. Einlagen, Eselsohren, Randbemerkungen, An- und Unterstreichungen lassen Schlussfolgerungen über die Lektürepraxis von Autorinnen und Autoren zu und geben Auskunft darüber, mit welcher Intensität, mit welchen Interessen und unter welchen intellektuellen Voraussetzungen ein Werk gelesen wurde. Mit Davide Giuriato und dessen Anlehnung an Paul Valéry gesprochen, bilden sich in Lesespuren „Denken, Lesen und Schreiben“ als ein „Prozeß ständigen und unabschließbaren Werdens“ ab. Sie führen damit in das Werk von Schriftstellerinnen und Schriftstellern und geben einen Einblick in den literarischen Schaffensprozess. Darüber hinaus öffnen Gebrauchsspuren in Büchern und Bibliotheken ein eigenes praxeologisch motiviertes und an der materiellen Kulturforschung orientiertes Forschungsfeld.

So stehen Lesespuren auch in einem Spannungsverhältnis zu Spuren, die nicht auf eine Lektüre, sondern auf die Biographie eines Buchs verweisen. Diese Gebrauchsspuren stellen eine Herausforderung für die Erforschung und Erschliessung von Autorenbibliotheken dar und werfen Fragen nach der Provenienz von Lese- und Gebrauchsspuren sowie deren Kategorisierung auf. Die Tagung fragt deshalb ausgehend von Lesespuren im engeren Sinn nach den textuellen Einflüssen auf das Werk von Schreibenden und nach der Aussagekraft von Gebrauchsspuren im weiteren Sinn. Welchen Einfluss hat die materielle Textualität auf Lektürepraktiken? In welchem Zusammenhang stehen Textgenres und Lesespuren? Lassen sich ausgehend von den spezifischen Lese- und Gebrauchspuren Profile einzelner Autorenbibliotheken erstellen und wie gelangen wir von den auf einer grossen Datenmenge basierenden Einzelstudien zu einer übergreifenden Typologie von Lese- und Gebrauchsspuren? In welchem Verhältnis stehen die Erforschung von Lesespuren in Autorenbibliotheken und die Intertextualitätsforschung?

Die Tagung verbindet diese Fragekomplexe mit einer Diskussion über das epistemische Potential der digitalen Erschliessung und Edition von Lese- und Gebrauchsspuren in Autorenbibliotheken. Ausgewiesene Expertinnen und Experten aus der wissenschaftlichen, technologischen und bibliothekarischen Praxis verhandeln einige Leitfragen: Wie lassen sich exemplarspezifische Merkmale erschliessen? Welche institutionellen, finanziellen, technischen und inhaltlichen Herausforderungen ergeben sich daraus und welche Lösungen haben aktuelle Projekte gefunden? Neben dem Erkenntnisgewinn für die Forschung zu Lesespuren und Autorenbibliotheken erhält die Tagung damit zusätzliche Bedeutung, indem sie an einer internationalen Diskussion über die Potentiale digitaler Methoden und der Vernetzung von Archiv, Bibliothek und Wissenschaft teilnimmt.

Die Tagung findet statt im Rahmen des SNF-Projekts Produktive Lektüre. Thomas Manns Nachlassbibliothek, eine Kooperation zwischen dem Thomas-Mann-Archiv, der Professur für Literatur- und Kulturwissenschaft, den IT-Services der ETH-Bibliothek und dem Digitalisierungscenter der ETH Zürich.
 

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