Vom Übernatürlichen zum Übersinnlichen (und zurück): Okkulte und wissenschaftliche Epistemologien des Unsichtbaren im 19. Jahrhundert (Arbeitstitel)
Dissertationsprojekt von Jonas Staehelin
Mein Forschungsprojekt untersucht die Verwissenschaftlichung des "Okkulten" im langen 19. Jahrhundert. Mit einem wachsenden Arsenal technischer Apparate ausgestattet, öffneten die Naturwissenschaften im Verlauf des 19. Jahrhunderts den Blick auf eine unsichtbare Welt ätherischer Vibrationen, elektrischer Entladungen und magnetischer Kräfte. Doch mit dieser Multiplizierung des Unsichtbaren ging auch ein Bewusstsein über die zunehmende Unzulänglichkeit unserer Sinne einher. Auf dem elektromagnetischen Spektrum stellte der Bereich des Sichtbaren nur einen schmalen Streifen im unendlichen Kosmos ätherischer Schwingungen dar. Als die moderne Sinnesphysiologie obendrauf noch die Wahrnehmung zu einem rein subjektiven Akt herunterstufte, der vorerst nichts mit der objektiven Beschaffenheit der Aussenwelt zu tun hatte, schien die Welt buchstäblich abhandengekommen zu sein. Anstatt nun diesen Verlust zu beklagen, sahen viele Okkultisten darin das grosse Versprechen einer neuen Jenseitserfahrung. Zwar schien die Wissenschaft das Übernatürliche verbannt zu haben, doch an dessen Stelle trat das Unsichtbare. In diesem Jenseits der Sinne, gleichsam ein unerschöpfliches Reservoir des Unbekannten, fanden auch die okkulten Phänomene inmitten der Ströme der Moderne ihre temporäre bleibe.
Der Okkultismus war in diesem Sinne weder antimodern noch ist er als Form des «Gegenwissens» zu begreifen. Stattdessen untersucht meine Dissertation ausgehend von der Multiplizierung des Unsichtbaren und den damit einhergehenden epistemischen Implikationen die Durchlässigkeit zwischen Okkultismus und wissenschaftlicher Praxis im langen 19. Jahrhundert.