«Ewiges Kakerlakenritual»: Die jüdische Ungezieferliteratur der Moderne
Dissertationsporjekt von Noga Resh
Mit dem Aufstieg der Moderne schleicht sich eine unheimliche Gestalt in die jüdische Literatur ein: das Ungeziefer. Diese unerwünschten Kreaturen bevölkern die Werke prominenter jüdischer Autorinnen und Autoren von Scholem Jankew Abramowitsch (Mendele Mocher Sforim) bis hin zu Clarice Lispector. Die geplante Dissertation widmet sich der Erscheinung des literarischen Ungeziefers und versteht sie als Schlüssel zur Interpretation von jüdischen Literaturen sowie von religiösen, biopolitischen und ästhetischen Diskursen. Sie entwirft ein terminologisches Dreieck zwischen Ungeziefer, jüdischer Literatur und Moderne, um die epistemologische Relevanz dieses literarischen Motivs zu erschließen. Der vergleichende Ansatz schafft einen Textkorpus, welches als «Ungezieferliteratur» bezeichnet werden kann und neue, «niedrigere» Perspektiven auf vertraute Werke ermöglicht.
Im Fokus steht die semantische Vielschichtigkeit des Begriffs «Ungeziefer», der sowohl im jüdischen Kontext als auch im deutschsprachigen Raum stark mit Konzepten der Unreinheit und Opferung verknüpft ist. Das Ungeziefer erweist sich dabei nicht als klar definierbarer Begriff, sondern als diskursives Element, dessen Bedeutung sich im Rahmen der Geschichte verändert und als Zuschreibung fungiert. Die jüdische Herkunft der Autorinnen und Autoren ermöglicht dabei eine doppelte Perspektive: als Zielscheibe antisemitischer Entmenschlichung (Juden als «Ungeziefer») und als Teil einer religiösen Tradition, die selbst mit komplexen Vorstellungen von Reinheit, Ekel und tierischer Alterität operiert.
Die Dissertation ist entlang von zehn «Denkkategorien» aus dem semantischen Feld des Ungeziefers strukturiert – etwa Wimmeln, Schmarotzen oder Verwandeln. Anhand solcher Kategorien werden literarische Darstellungen von Unreinheit, Vernichtung, Parasitismus, Infektion, Einfühlung und Erlösung beleuchtet. Ebenso wird die körperliche Dimension dieser Kreaturen in den Fokus hervorgehoben, um Verbindungen zwischen Ungeziefer und Ekel, Ernährung, Transformation, Masochismus und Sexualität auszuloten. Schließlich wird die Metamorphose als zentrales Thema der Ungezieferliteratur untersucht und in ihren Verflechtungen mit Weltliteratur, biologischen Prozessen und jüdischer Mystik behandelt.