Kombinatorik als mediale Implosion

Andreas Kilcher und Tore Langholz

Projekt im Rahmen des externe Seite NCCR Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen. Historische

Das Teilprojekt untersucht Formen und Funktionen medialer ‹Implosion› am Beispiel der Kombinatorik. Der Begriff der ‹Implosion› (Baudrillard, McLuhan) beschreibt dabei keine Dysfunktion innerhalb nachrichtentechnischer Abläufe, keine Störungen des medi-alen Systems, sondern solche Emergenzphänomene, die strukturell an das Gelingen von Medialität gekoppelt sind: einem Überschuss an semiotischem und medialem Aufwand steht ein Verschwinden des Semantischen entgegen. Dieser Befund ist bislang als charakteristisch für das digitale Zeitalter erachtet worden. Das Vorhaben geht jedoch davon aus, dass Informationsüberflutung die Frage nach Modellen der Sammlung, Speicherung und Zirkulation von Wissensdaten schon in vormodernen Epistemologien relevant machte. Die Kombinatorik ist ein hervorragendes Beispiel dafür: Sie galt nicht nur als ein universalisierendes Verfahren der Rationalisierung in der Findung und Speicherung von Wissen; an ihr zeigt sich auch die implosive Kraft eines freigesetzten Medialen, das Wissensordnung und Sinnproduktion entgegensteht. Dabei lassen sich zwei Varianten unterscheiden: eine enzyklopädische, die die Implosion des Sinns in universalwissenschaftlicher Hyperorganisation auffängt und auf Allwissen zielt, sowie eine mystisch-ekstatische Variante, die gerade auf die Auflösung des Wissens zielt. (1) Das in der Tradition des Lullismus als «Wissenskunst» (ars generalis oder ars mag- na sciendi) entwickelte Verfahren der Wissensgenerierung vermittels Kombination lotet die Grenzen des alphabetischen Zeichensystems dadurch aus, dass es gewaltige semiotische Überschüsse produziert, die semantisch nicht mehr einholbar sind. Im Zuge der explosionsartigen Ausdehnung des semiotischen Bestandes durch Kombination vollzieht sich eine Implosion des Semantischen. Dabei zielen die lullistischen Wissensmodelle dennoch auf eine Regulierung solcher Zeichenbewegungen. Die mediale Energie dieses Verfahrens lässt den Sinn gewissermassen kontrolliert implodieren: als umfassende Mö- glichkeit von Wissen. (2) Die mystisch-ekstatischen Modelle der Kombinatorik dagegen zielen auf Deregulierung, indem sie die Implosion des Sinns geradezu zelebrieren. Beispielhaft dafür ist die Kabbala. Gegenüber dem rationalen Wissensmodell der lullischen ars weist sie funktionale Differenzen wie methodische Divergenzen in der kombi- natorischen Verfahrensweise auf. Insbesondere die «ekstatische Kabbala» (Abraham Abulafia) führt die schreibtechnische Expansion der Kombination (chochmath ha-ziruf) bewusst zur Implosion von Semantik, Information und Wissen. Allwissen weicht hier der Aufhebung des Denkens in einem medialen pleroma. Ziel der Kabbala ist nicht die Erschöpfung des Möglichen, sondern eine Logik der Überbietung von zeichenhafter Sinnproduktion mit dem Ziel der Erfahrung eines unnennbaren Göttlichen im Rauschen der Schriftzeichen.

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